Bevor John Graham Mellor sich von 1976 an langsam, aber sicher dem Punkrock zuwandte, um unter dem Alias Joe Strummer („Klampfer“) mit The Clash Musikgeschichte zu schreiben, trug er den Künstlernamen „Woody“. Nach Woody Guthrie. Unter diesem Namen fing der britische Gitarrist und Sänger zwei Jahre zuvor an, mit seiner Band, The 101ers, Rockabilly- und Rhythm-and-Blues-Songs zu spielen.
Der Bezug zu dem Hobo und Proto-Protestsänger Woody Guthrie passte wie die Faust aufs Auge – denn auch Strummer war zu Clash-Zeiten ein Klassenkämpfer, setzte sich für Unterprivilegierte und Outlaws ein; nicht zuletzt deshalb, weil er die Härten des Lebens – als Internatskind, Hausbesetzer, Artschool-Drop-out, Großstadtstreuner – selbst von früh auf kannte.
Aber auch musikalisch passte die Referenz zu Guthrie. Denn US-amerikanischer Bluegrass, Rock ’n’ Roll und Country haben den 2002 im Alter von 50 Jahren gestorbenen Musiker mehr geprägt, als man gemeinhin annimmt. Sein Blick richtete sich westwärts, in diesem Fall kann man fast sagen in doppeltem Sinne: Der berühmte Londoner Westway mit seinen Galerien, Clubs und Kneipen war bedeutend für ihn, genauso die Musik jenseits des Atlantiks.
Über die erste Tour mit The Clash durch die USA (1979) sagte er einmal: „Wenn man seit seiner Kindheit amerikanische Musik liebt, dann ist es fantastisch, dort hinzugehen, mit einem Bus quer durchs Land zu fahren und Orte zu sehen, von denen man bisher nur in Songs gehört hat.“
Ausschussware? Nix da
Die kürzlich erschienene Werkschau „Joe Strummer 001“ bildet erstmals die gesamte stilistische Palette ab, die er als Songwriter draufhatte. Überwiegend widmet sie sich seiner späten Karriere, seinen Aufnahmen nach dem Ende von The Clash im Jahr 1986. Rare Stücke und zwölf bislang unveröffentlichte Werke aus dem Nachlass sind darunter – und diese Archivstücke sind alles andere als Ausschussware. Kuratiert wurde das Album von Strummers’ Witwe Lucinda Mellor und Robert Gordon McHarg III, einem kanadischen Künstler und Clash-Weggefährten.
inerseits kann man darauf eben den zutiefst Americana-affizierten Strummer (wieder-)entdecken. Stücke wie „Tennessee Rain“ (1987) oder „2 Bullets“ (gemeinsam mit US-Sängerin Pearl Harbour und samt extensivem Pedal-Steel-Gitarreneinsatz) klingen wie ein musikalischer Roadtrip durch die Südstaaten.
„Crying On 23rd“ (1985), das Strummer mit der Londoner Band The Soothsayers aufnahm, erinnert dagegen an Bob Dylan zu seinen Bluesrock-Hochzeiten – die letzteren beiden Stücke sind Outtakes der Aufnahmen für den Soundtrack von „Sid & Nancy“.
Auch „Blues On The River“ (1984), ein frühes Demo, strotzt vor Americaness: „White clear rum and blues on the river and run/ Loveless in the darkness, flooding through the rain and run/ Signaling with my red cigarette/ Won’t somebody please connect?“, singt Strummer mit seiner mal leicht heiseren, mal belegt klingenden, dann wieder nasalen Stimme. Nur seine Gitarre und eine Drum Machine braucht er für das Stück.
„Viva la Quince Brigada“
Aber auch der Internationalist, der musikalische Weltenbummler Strummer, den man bereits von The Clash kannte, hat seinen Auftritt. Dem spanischen Bürgerkrieg hatte er sich mit seiner Band ja schon gewidmet („Spanish Bombs“), hier ist seine Version des Widerstandslieds „Viva la Quince Brigada“ („15th Brigade“, 1989) zu hören – ein Song zu Ehren der Internationalen Brigaden, die gegen Franco kämpften.
So, wie er es interpretiert mit Banjo, Lyra, Perkussion, klingt deutlich der arabische Einfluss auf den Song an. Es gibt viele Versionen dieses Schlachtgesangs (etwa von Pete Seeger) – so frisch wie hier klang es selten.
Die Weltreise der Sounds setzt sich fort in „Afro-Cuban Be-Bop“, das mit seinen swingenden Conga-Rhythmen daran erinnert, dass Strummer als Musiker über den Rhythmus kam – ein Grund, warum schon The Clash Dub, Reggae, Ska und Funk in ihren Sound integrierten. Und auch nach deren Auflösung spielten diese Stile für den Strummer-Sound weiterhin eine Rolle: mit den Mescaleros, die er 1999 ins Leben rief und mit denen er bis zu seinem Tod spielte, schrieb er diesen Global-Pop-Entwurf fort. Aus dieser Phase finden sich hier sechs Stücke – „Coma Girl“ zum Beispiel ist eines seiner stärksten überhaupt, eine Bonnie-und-Clyde-mäßige Liebeserklärung an Outsider-Gangs: „Coma Girl and the excitement gang/ Mona Lisa on the motorcycle gang/ Coma Girl was beating with the Oil Drum gang“, heißt es darin.
the story of the Clash:
Einen guten Artikel zitieren wir hier aus dem „Freitag“ (Autor YPA, Oktober 2009)
Als am 30. August 1976 im Londoner Stadtteil Notting Hill der Karneval beginnt, ahnt niemand, dass an diesem Tag Geschichte geschrieben wird. Für sich genommen waren die Ereignisse schon bedeutend. Aber zudem prägten sie auch noch eine der einflussreichsten Rockbands der letzten 30 Jahre und schufen so eine Verbindung zwischen Popkultur und außerparlamentarischem Widerstand.
In Notting Hill lebten zu dieser Zeit vor allem Einwanderer aus der Karibik. Das Leben im Vereinigten Königreich der 1970er Jahre war hart, besonders für schwarze Jugendliche: Diskriminierung, soziale Ausgrenzung und Rassismus waren an der Tagesordnung. Ein neues Gesetz erlaubte der Polizei, junge Schwarze ohne konkreten Verdacht zu durchsuchen und festzunehmen. Es herrschte Krieg zwischen ihnen und der »weißen« Polizei. Zur gleichen Zeit erhielten faschistische Gruppen wie die National Front Zulauf, die mit der Hetzparole »Keep Britain White« (»Halte Großbritannien weiß«) gegen Einwanderer mobil machte. Viele dachten, dass es nicht so weitergehen könne.
Dass es ausgerechnet an diesem Tag passieren würde, ahnten auch Joe und Paul nicht. Joe Strummer ist Sänger und Gittarist von The Clash, Paul Simonon spielt den Bass in der Punkband. Noch kennt niemand The Clash. Mit ihrem Manager Bernie Rhodes wollen sie zusammen mit zehntausend anderen den jährlichen Karneval in Notting Hill feiern: Musik hören, tanzen, etwas essen und sich von den farbenfrohen Umzugswagen und Kostümen beeindrucken lassen. Aber dann geschah etwas ganz anderes.
Den Karneval organisiert die schwarze Gemeinde seit 1964 – um sich selber zu feiern, aber auch als Zeichen gegen den alltäglichen Rassismus. Was als lokales Event begann, war 1975 eine Massenveranstaltung mit 150.000 Teilnehmern – es glich einer Demonstration. Ein Dorn im Auge der Staatsmacht. Schon im Vorfeld des Karnevals 1976 versuchten daher Polizei, Gemeindeverwaltung und Medien, den Karneval weg von der Straße zu bekommen. Die Stimmung war dementsprechend aufgeheizt. Aber die Organisatoren blieben hartnäckig. Sie verlangten, dass der Karneval ein Straßenumzug bliebe.
Sie konnten sich zwar durchsetzen, doch die Polizeipräsenz war massiv. Der lokale Polizeidirektor entschied, zwanzigmal mehr Polizisten einzusetzen als die Jahre zuvor. Die Polizei bereitete sich mit militärischer Präzision auf den Karneval vor. Über 1600 Beamte patrouillierten während des Ereignisses auf den Straßen Notting Hills. Sie kontrollierten, schikanierten und ließen nichts unversucht, um die gute Stimmung zu zerstören. Die Menschen fühlten sich ihres Festes beraubt. Es war nicht mehr ihr Karneval. Es war nun der Karneval der Polizei. Als diese am zweiten Tag einen schwarzen Jugendlichen wegen angeblichen Taschendiebstahls festnahm, eskalierte die Situation.
Die Menschen schleuderten Steine und Flaschen auf die Ordnungshüter und forderten die Freilassung des Mannes. Als daraufhin ein Sondereinsatzkommando der Polizei anfing, mit Knüppeln bewaffnet und mit Schildern geschützt, wahllos in die Menge zu schlagen, sind auch Joe und Paul nicht mehr zu halten. Immer mehr Flaschen flogen in Richtung der Polizisten, Steine prasselten auf sie nieder. Ein Polizeiauto ging in Flammen auf. Die Notting Hill Riots hatten begonnen.
Die Straßenkämpfe dauerten 48 Stunden. Am Ende musste sich die Staatsmacht geschlagen zurückziehen. Hunderte wurden verletzt, die meisten davon Polizeibeamte. Trotz der Zerstörung im Viertel und den vielen Verletzten war die schwarze Gemeinde von Notting Hill stolz: Sie hatte den Autoritäten einen Denkzettel verpasst – stellvertretend für alle Opfer von Rassismus, Polizeigewalt und staatlicher Willkür. Sie duldeten es nicht länger, ohne Respekt behandelt zu werden. Am Ende des Karnevals fühlten sie: Diesmal haben wir gewonnen.
Für die Mitglieder von The Clash, die die Riots miterlebten, war danach nichts mehr wie früher. »Schreibt über das, was passiert«, riet ihnen Manager Rhodes. Joe Strummer schrieb. Heraus kam die erste Single der Band: »White Riot«. Nicht mal zwei Minuten lang, aber ein unglaublich treibender und packender Aufruf zum Aufstand. Der erste Satz »Black people gotta lot a problems / but they don’t mind throwing a brick« (»Schwarze Leute haben eine Menge Schwierigkeiten aber sie trauen sich, auch mal einen Stein zu werfen«) veranlasste manche, diesen Song als rassistisch abzustempeln. Aber Joe Strummer brachte darin seine Bewunderung für den Aufstand von Notting Hill zum Ausdruck. Der zweite Satz »White people go to school / Where they teach you how to be thick« (»Weiße Leute gehen in die Schule und lassen sich die Köpfe zumauern«) machte deutlich, dass es auch ein Kampf für weiße Jugendliche ist – gegen einen gemeinsamen Feind: »All the power in the hands / of the people rich enough to buy it / while we walk the street / too chicken to even try it« (»Alle Macht liegt in den Händen derer, die reich genug sind, sie sich zu kaufen, während wir durch die Straßen laufen, zu ängstlich, um es auch nur zu versuchen«).
»White Riot« erreichte Platz 38 der UK-Charts. Die gleichnamige Tour war für The Clash ein Triumphzug. In Amerika wurde das Album zur meistverkauften Importplatte aller Zeiten. Die politische Parteinahme von The Clash war von nun an ein integraler Bestandteil ihrer Musik. Sie schrieben Songs gegen Krieg und Imperialismus, gegen den kapitalistischen Konsumterror, gegen Polizeibrutalität und für Gleichberechtigung. Sie spielten Gigs für Anti-Nazi-Bündnisse und gaben Benefizkonzerte für streikende Bergarbeiter.
Die andere erfolgreiche britischen Punkband, die Sex Pistols, zeichnete in ihren Songs ein pessimistisches Bild – ohne Zukunftsaussichten. The Clash aber schrieben Musik als gelte es, zu den Waffen zu greifen. In seinem ersten Interview mit dem New Musical Express erklärte Joe Strummer: »Ich glaube, die Leute sollten wissen, dass wir gegen Faschismus, gegen Gewalt, gegen Rassismus und für Kreativität sind.« Nicht »No Future« sondern »White Riot« – ein Aufruf, aufzustehen und sich in den Kampf gegen Unterdrückung einzureihen. Hörbar, noch heute.
1976 braut sich in London in kleinen Zirkeln von musikverrückten und aus der Umlaufbahn des normalen Lebens geworfenen Jugendlichen um die Sex Pistols, The Damned, The Clash etwas zusammen. Mit ihren aufrührerischen Songs werden sie innerhalb weniger Monate zur Stimme einer ganzen Generation, die radikaler als selbst die 68er alles in Frage stellt. Aufgewachsen in der britischen Nachkriegsgesellschaft, die in einer Krise steckt und ihnen nur „No Future“ zu bieten hat.
Im ungewöhnlich heißen Sommer 1976 herrscht in England Untergangsstimmung. Schulabgänger finden keine Jobs und die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie nie zuvor seit 1945. Die Regierung streicht die Sozialausgaben zusammen.