]Vor über 80 Jahren, im Juli 1936 erhoben sich Millionen Menschen gegen den faschistischen Putsch des General Franco in Spanien.
„Der Mensch macht die Geschichte und ist zugleich ihr Produkt. Auch Durruti, wie jeder Mensch, dessen wesentliche Tugend darin besteht, sich selbst treu zu bleiben, unterliegt dieser allgemeinen Regel: Die Menschen machen die Geschichte, während sie zugleich ihre Kinder sind“, schreibt Abel Paz im Vorwort zur spanischen Ausgabe 1977. nd diesem Wechselverhältnis wird er gerecht, indem er die Biographie Durrutis eng mit den Vorbedingungen und dem Verlauf des Spanischen Bürgerkriegs verknüpft.
In keinem Land der Welt war die Idee des Anarchismus so weit verbreitet wie in Spanien. Die anarchistische Gewerkschaft CNT hatte in ihren Hochzeiten über eine Million Mitglieder, über 500 000 Menschen begleiteten in Barcelona Durrutis Sarg und machten seine Beerdigung zu einer der größten politischen Manifestationen in der Geschichte Spaniens.
Die Gründe für den Erfolg des Anarchismus sind vielfältig: Bis zum Ersten Weltkrieg war die Iberische Halbinsel ein reines Agrarland, in dem sich archaische Gesellschaftsformen und ein Widerwille gegen jegliche Art von Zentralismus gehalten hatten. Als ökonomischer Gegenpol zu den überwiegend armen Regionen Spaniens entwickelten sich Kataloniens Industriezentren, vor allem die Provinzhauptstadt Barcelona. Daß sich die Arbeiter Kataloniens dem Anarchismus zuwandten, erklärt sich zu einem nicht unerheblichen Teil aus den Autonomiebestrebungen der Region.
In ihrer Organisationsstruktur war die 1910 in Barcelona gegründete anarchistische Gewerkschaft CNT streng den Prinzipien des Anarchismus verpflichtet: keine Beitragszahlung und keine Funktionäre (sie hatte nur einen bezahlten Generalsekretär). Da sie über keine Streikkasse verfügte, waren ihre Arbeitskämpfe zwangsläufig kurz, aber dafür um so heftiger. Nachteile wie Vorteile einer solchen Organisation liegen auf der Hand: Die CNT konnte wenig effizient sein, weil sie nicht in der Lage war, zentral und rasch zu reagieren. Und genau dieses Manko sollte ihr in den Kämpfen des Spanischen Bürgerkriegs zum Verhängnis werden. Auf der anderen Seite konnte sich eine Führungsclique, die nur auf ihre eigenen Vorteile bedacht ist, gar nicht erst herausbilden. 1922 entwickelte sich aus der CNT ein illegaler Arm, eine kleine Gruppe, die sich Los Solidarios nannte und mit Sabotageaktionen und Überfällen von sich reden machte. Mitbegründer und entscheidender Motor dieser Gruppe war Buenaventura Durruti, ein Mechaniker aus León in Kastilien.
Buenaventura Durrutis Leben gleicht tatsächlich einem Abenteuerroman, obwohl er alles andere als ein Abenteurer war. Geboren wird er am 14. Juli 1896 in León. Den Lehrern gilt er als „unartiges Kind, aber warmherzig und von edlen Gefühlen“. Schon als Jugendlicher schließt sich Durruti der Gewerkschaft an; er wird als Rädelsführer bei diversen Streiks in der ganzen Region so bestellt. daß ihn bald kein Arbeitgeber mehr einstellt. Als Primo de Rivera 1923 die Macht ergreift, die CNT in den Untergrund geht, beginnt für Durruti und einige seiner Freunde ein achtjähriges Exil, das sie auf abenteuerlichen Wegen über Frankreich und Deutschland bis nach Kuba und Lateinamerika führen wird. In keinem dieser Länder ist Durruti vor Verhaftungen sicher, und überall gibt es sofort Ärger, wenn er eine Arbeit aufnimmt und gegen Ungerechtigkeit agitiert. Erst 1931, als in Spanien die Republik ausgerufen wird, können Durruti und seine Gefährten zurückkehren.
Vor allem Durrutis Rolle im Spanischen Bürgerkrieg hat erheblich zur Mythenbildung beigetragen; dabei blieben ihm nach dem Putsch Francos im Juli 1936 bis zu seiner Ermordung im November gerade einmal vier Monate. In historischen Abhandlungen über den Bürgerkrieg wird viel über die internationalen Brigaden geschrieben, über die Verteidigung Madrids und das Elend der Zivilbevölkerung, aber wenig darüber, daß sich in Aragonien und Katalonien Land- und Betriebskollektive bildeten, also anarchistisch organisierte Räte, die ihr Schicksal nicht länger den Großgrund- und Fabrikbesitzern überlassen wollten. Den Anarchisten ging es nicht in erster Linie um die Verteidigung der Republik, sondern um eine grundlegende Umwälzung der Gesellschaft. Trotzdem wurde die berühmte „Kolonne Durruti“, in der Tausende Anarchisten zunächst in Aragonien, dann in Madrid kämpften, von der Volksfront-Regierung geduldet und instrumentalisiert, weil sie für den Kampf gegen die faschistischen Putschisten von Nutzen war. Gnädig übertrug man der CNT sogar drei (allerdings unbedeutende) Ministerposten. Auf der anderen Seite versuchte die Regierung, die Kontrolle zu behalten, indem sie beispielsweise die Wiedereinführung konventioneller Militärstrukturen befahl, deren Abschaffung die Anarchisten zuvor erfolgreich durchgesetzt hatten. Anfang November 1936 wurde die „Kolonne Durruti“ aufgefordert, sich von Aragonien ins umzingelte Madrid zu begeben. Die letzten von Zeitzeugen höchst widerspruchlich geschilderten Tage Buenaventura Durrutis hatten begonnen.
Der Spanische Bürgerkrieg begann, als am 17./18. Juli 1936 Militärs, unter der Führung von General Franco, versuchten, die junge spanische Republik zu stürzen. Ziel der Franquisten und katholischen Klerikalfaschisten war es, in Spanien eine Diktatur zu errichten. Anders als 1933 in Deutschland gab es in Spanien jedoch massiven und lange Zeit erfolgreichen Widerstand großer Teile der Bevölkerung gegen die faschistische Machtergreifung.
In den Städten übernahmen revolutionäre ArbeiterInnen die Fabriken. Auf dem Land ergriffen Bauern, Bäuerinnen, LandarbeiterInnen und Tagelöhner die Initiative, gründeten Agrarkollektive und bemächtigten sich des Landes. Durch die Schaffung tausender freier Schulen und die autodidaktische Aneignung gelang den AnarchistInnen eine Alphabetisierungskampagne, die historisch beispiellos ist. Die Basis der Sozialen Revolution war der spanische Anarchismus, der sich schon vor 1936 zu einer Massenbewegung entwickelt hatte.